1925 wurden in Zürich Altstetten, dort wo heute das Stadion Letzigrund steht, während zwei Monaten 74 Menschen aus Westafrika zur Schau gestellt. Der Schweizer Bevölkerung sollten so die «Sitten und Gebräuche» dieser «Wilden» näher gebracht werden: Ihre Arbeit, ihre Tänze, ihre Musik.
Das «afrikanische Dorf» wurde von einer Zürcher Baufirma aufgestellt[1]

Die Ausgestellten, welche innerhalb Europas von Stadt zu Stadt gebracht wurden, lebten in Zürich unter schlimmen Verhältnissen: Es war ihnen nicht erlaubt, das «Dorf» zu verlassen, die Kleider, welche sie tragen mussten, waren nicht auf die herbstlichen Schweizer Temperaturen angepasst und zu Essen kriegten sie nur geschälten Reis. Als Folge dieser schlechten Ernährung starben während der Ausstellung zwei Männer an Vitamin B1 Mangel.[2]

Das Interesse an dieser Völkerschau war indes riesig: um die 60’000 Eintritte wurden innerhalb der zwei Monate verkauft.[3]

Die Zürcher Völkerschau war bei weitem keine Ausnahme. Zwischen 1879 und 1939 fanden in Europa ungefähr 100 solche Schauen statt - die letzte 1964 als Teil des Zirkus-Knie-Programms. Sie trug den Titel «marokkanischer Handwerker». Rund 35’000 Menschen aus Afrika, Asien und den Amerikas wurden im Zuge des Kolonialismus in Völkerschauen in Europa ausgestellt.
Den Besucherinnen und Besuchern wurde dabei vorgegaukelt, sie würden den Alltag dieser fremden Völker kennen lernen. In Tat und Wahrheit waren die Handlungen (Pfeile Schnitzen, Binsen flechten, ständiges Trommeln und Tanzen usw.), die Bekleidung und die Umgebung (z.B. das «afrikanische Dorf») inszeniert. Die Fremden mussten das tun, was ihnen von den Organisatoren aufgetragen wurde und hatten kein Mitspracherecht. Das Ziel dabei war, die Ausgestellten möglichst wild, primitiv und andersartig darzustellen.[4]

Europäische Wissenschaftler nutzten diese Inszenierungen wiederum, um ihre Arbeiten und «wissenschaftliche Erkenntnisse» darauf abzustützen. Ende 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in der Wissenschaft zunehmend versucht, anhand von Rassentheorien zu beweisen,

  • dass sich Menschen weltweit in verschiedene Rassen einteilen liessen
  • dass dabei die «weisse Rasse» immer zuoberst stünde
  • dass sich die Minderwertigkeit der anderen Rassen biologisch und genetisch beweisen lasse (z.B. durch die Vermessung von Schädeln).

Die so gewonnen «Erkenntnisse» wurden wiederum gebraucht, um das rücksichtslose und menschenverachtende Handeln der europäischen Mächte in den Kolonien zu rechtfertigen.[5]

Die Rolle der Völkerschauen war also eine Dreiseitige:

  1. Die (Schweizer) Bevölkerung sollte von der Primitivität und somit Minderwertigkeit der ausgestellten Menschen überzeugt werden.
  2. Die Körper der zahlreich verstorbenen Tourneemitglieder wurden systematisch der «Rassenwissenschaft» übergeben, welche versuchte, ihre Theorien zu beweisen. Diese Ergebnisse wurden dann wiederum auf Werbeplakaten als «wissenschaftliche Erkenntnisse» vermarktet und dienten…
  3. der politischen und gesellschaftlichen Rechtfertigung, dass man die Menschen in den Kolonien versklaven dürfe.

Literaturverzeichnis

[1] Brändle Rea, Wildfremd, hautnah. Zürcher Völkerschauen und ihre Schauplätze 1835-1964, Zürich 2013, S. 160ff.

[2] Brändle (2013), S.165f.

[3] Brändle (2013), S. 159.

[4] Tribelhorn Marc, Menschenzoos, 23.12.2013, https://www.nzz.ch/zuerich/menschenzoos-1.18209716 (20.2.2024).