Definitionen: Identität – Nation
Jeder Mensch hat eine Identität
Darunter versteht man die verschiedenen Merkmale, die den einzelnen Menschen ausmachen. Zur Identität gehört, dass man sich bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zugehörig fühlt, die diese Merkmale teilen (und anderen Gruppen nicht). Die ersten Gruppen, denen sich Menschen zugehörig fühlen, sind jene, in die sie hineingeboren werden: Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft, Heimatort. Dann fühlen sie sich auch mit Menschen verbunden, die sie nicht persönlich kennen, mit denen sie aber wichtige Merkmale ihrer Identität teilen (z.B. eine Berufsgruppe, ein gesellschaftlicher Stand, eine Generation, ein Geschlecht o.Ä.). Wenn sie lernen, dass es viele verschiedene Kulturen und Sprachen auf der Welt gibt, fühlen sie sich meistens einer Sprache, Kultur, Lebensanschauung oder Religion besonders verbunden. Wenn viele Menschen sich auf eine solche Weise miteinander besonders verbunden fühlen, spricht man von einem Nationalbewusstsein.
In der Zeit der Aufklärung (18. Jahrhundert) wurde gefordert, dass die Menschen nicht mehr (wie in Mittelalter und Neuzeit) in beliebigen Fürstentümern oder Reichen zusammenleben sollten, deren Grenzen sich je nach Kriegsglück und Heiratspolitik der Mächtigen verschoben und veränderten, sondern dass sich Menschen mit ähnlicher Kultur und Sprache selbst in Staaten organisieren sollten. So entstand die politische Idee des Nationalismus, dessen AnhängerInnen forderten, dass jede Nation (vor allem die eigene) in einem eigenen Staat leben solle, da auf diese Weise Menschen zusammenleben würden, die sich miteinander besonders verbunden fühlten und sich so besser entfalten könnten.
Aber was ist überhaupt eine Nation?
Dazu gab es am Ende des 18. Jahrhunderts zwei Ansichten: Nach der einen Sichtweise ist eine Nation einfach eine große Gemeinschaft, deren Mitglieder unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Kultur oder Sprache zusammen leben wollen, weil sie eine gemeinsame Lebenshaltung und gemeinsame Ziele miteinander verbinden (z.B. das Streben nach Freiheit und Glück oder ein Leben in besonderer religiöser Frömmigkeit). Die Mitglieder bekennen sich zur Gemeinschaft und ihren Werten. Diese Form von Nation nennt man Willensnation. Beispiele für Willensnationen sind etwa die Schweiz und Einwanderungsländer wie die USA oder Australien.
Nach der anderen Ansicht ist eine Nation eine Volksgemeinschaft, die aus Menschen mit gemeinsamer Sprache, Traditionen, Abstammung und Geschichte besteht. Die Mitglieder müssen sich gar nicht zu dieser Gemeinschaft bekennen, aber sie sind von der Geburt bis zum Tod Teil von ihr, ob sie wollen oder nicht. Diese Form von Nation nennt man Kulturnation.
Lebt in einem Staat eine einzige Nation (egal ob Willens- oder Kulturnation) neben einigen Minderheiten, bezeichnet man den Staat als Nationalstaat. Leben hingegen mehrere Nationen gleichberechtigt in einem Land (z. B. FlamInnen und WallonInnen in Belgien), spricht man von einem Nationalitätenstaat.
Quelle: Ulram Peter/Tributsch Svila, Das österreichische Geschichtsbewusstsein und seine Geschichte, in: Schausberger Franz (Hrsg.), Geschichte und Identität, Wien 2008, S. 47.